soforthilfe

Lasst uns gemeinsam sehen, wie wir gegen das Chaos der geänderten Voraussetzungen vorgehen können.

Nachdem das Urteil des OVG vom 17.03.2023 nun mehrfach gelesen und juristisch und sprachlich seziert wurde und noch einige andere, ganz grundlegende, Quellen für das Zuwendungsrecht sowie noch ein ganz nettes Urteil aus Thüringen ausgewertet wurden, ist es an der Zeit das alles einmal so „kurz“ und einfach wie möglich darzustellen und eine Aussicht auf das zu geben, was noch ansteht.

Vorab:

Am Montag, dem 15.05.2023 gab es eine Zoomkonferenz an denen unsere Anwälte von OrthKluth, sowie die Anwälte des Landes (Redeker Sellner Dahs) und meine Wenigkeit teilgenommen haben.

Inhalt des Gespräches war der Wunsch des Landes, die laufenden Verfahren möglichst ohne großen Schaden für das Land weiterzuführen und dann später abzuschließen.

Man schlug doch tatsächlich vor, dass die Klagenden in ihren Verfahren doch bitte auf geänderte Schlussbescheide warten mögen, die dann auch zum Gegenstand der noch laufenden Verfahren gemacht werden könnten, um eine weitere Klageflut zu vermeiden und so Kosten zu sparen!

Was sie nicht erwähnt haben, ist, dass dann das Kostenrisiko für die gesamte erste Klage gegen die eindeutig rechtswidrigen Schlussbescheide teilweise bei den Klagenden hängenbleibt, wenn es schlecht läuft!

Nehmen wir mal folgendes an:
Das Land würde den Schlussbescheid ändern, d.h. z.B. teilweise aufheben.
Der geänderte Bescheid würde aber immer noch zu einer – aus unserer Sicht eigentlich rechtswidrigen – Rückzahlung, vielleicht in dann geringerer Höhe, führen.
Dann würde das Verfahren auf der Basis des dann neuen Bescheides verhandelt / entschieden. Wenn man Pech hat, hat das Land beim zweiten Versuch alles richtig gemacht und dann würde die Klage von euch, die ursprünglich mal vollständig begründet war, plötzlich, zumindest teilweise, unbegründet und Ihr hättet die Kosten an der Backe. Natürlich auch die Kosten der Anwälte des Landes.
Ob das die Gerichte überhaupt mitmachen würden ist schon fraglich und es gäbe auch noch die Möglichkeit, die Kosten vernünftig zu verteilen. Das alles wäre aber mit viel Arbeit auf unserer Seite und auch mit gewissen Risiken verbunden.

Das ist schon wirklich eine tolle Idee der NRW-Anwälte / des Landes.
Erst verlieren sie vor Gericht und dann wollen sie uns wieder mal in eine Kostenfalle locken. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen.

Wenn Sie sich nicht vernünftig verhalten wollen, d.h. sämtliche rechtswidrigen Bescheide gegen die geklagt wurde, zurücknehmen, werden wir unseren Mitgliedern empfehlen, eine Entscheidung bei Gericht zu erzwingen. Dann verliert NRW sicher oder nimmt die Bescheide doch noch im letzten Moment zurück.

Ziel ist und bleibt jedenfalls erstmal, dass die rechtswidrigen Bescheide aus der Welt geschafft werden und alle Kläger ihre verauslagten Gerichtskosten vollständig zurückerhalten. Diese muss nämlich dann vollständig das Land bezahlen.

Angeblich führt das Wirtschaftsministerium auch mit der IG-Soforthilfe „aktuell zahlreiche Gespräche“. Das jedenfalls hat ein Anwalt von Redeker Sellner Dahs gegenüber dem Vorsitzenden Richter des OVG, Herrn Dr. Sarninghausen, in einem Telefonat Ende April 2023 angedeutet.

Ich nehme an, er meinte damit bereits die seinerzeit noch gar nicht abgestimmte Zoomkonferenz am 15.05.2023.

Dass das Wirtschaftsministerium uns gegenüber irgendwelche Anstalten macht, sich mal vernünftig mit uns zu unterhalten und – wie von uns bereits in einem Schreiben an die Ministerin vom 03.11.2022 vorgeschlagen – in einen Dialog über mögliche Lösungen zu treten, ist bislang jedenfalls nicht erfolgt.

Stattdessen versucht NRW jetzt irgendwie ein neues „Verwendungsnachweisverfahren“ auf die Beine zu stellen und versucht seit ein paar Tagen gleichzeitig, Klagende mit deutlichen Drohungen in einen „Vergleich“ zu bewegen. Dazu mehr zu einem späteren Zeitpunkt.

Was wir inzwischen auch feststellen konnten, ist, dass das Land es während des gesamten Prozessverlaufs bei den Verwaltungsgerichten und dem OVG längst besser hätte wissen können und müssen (man will ja nicht behaupten, sie hätten da „gelogen, dass sich die Balken biegen“!).

Wir erinnern uns alle an die wesentlichen Argumente des Landes:

  • die Bewilligungsbescheide waren nur vorläufig
  • es wurde keine automatisierte Entscheidung getroffen
  • es ging immer nur um den Liquiditätsengpass
  • alleiniger Zweck der NRW-Soforthilfe2020 war die Liquiditätssicherstellung usw.

Heute wissen wir: Alles falsch!
Heute wissen wir auch: sie wussten es eigentlich schon besser, als sie ihre Behauptungen bei den Gerichten vortrugen!

Glatte „sechs, setzen“ vom Landesrechnungshof

Der Landesrechnungshof hat dem Wirtschaftsministerium wohl schon Ende 2021 / Anfang 2022 unangenehme Fragen zum Verfahren bei der NRW-Soforthilfe 2020 gestellt.

Die Antworten, die ursprünglichen Einschätzungen des Landesrechnungshofes und die abschließende Meinung des Landesrechnungshofes, nach Auswertung der Stellungnahmen des (damals noch) MWIDE, sind deutlich (siehe Landtagsvorlage 17/6705 = Beratung des Landtages NRW nach § 88 Abs. 2 LHO vom 29.03.2022).
Quelle: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-6705.pdf


Der Landesrechnungshof (LRH) hat festgestellt:

  • „Der LRH hat Zweifel an der rechtlichen Grundlage für die Durchführung des Rückmeldeverfahrens und der sich hieraus ergebenden Rückzahlungen. Eine Verpflichtung der Empfängerinnen bzw. Empfänger der Soforthilfe war hierzu weder in den Antragsvordrucken noch in den Bewilligungsbescheiden explizit enthalten. Sie enthielten nicht einmal einen dahingehenden Hinweis.“ (Seiten 40, 88)

  • „Maßgebend für eine rechtliche Verpflichtung zur Rückmeldung und zu etwaigen darauf basierende Rückzahlungen zu Lasten der Betroffenen ist, dass diese rechtswirksam – z. B. durch eine Erklärung im Antrag oder einer Nebenbestimmung im Bescheid – begründet wurde. Eine solche eindeutige Verpflichtung ist für den LRH weder im Antrag noch im Bewilligungsbescheid ersichtlich. Dies gilt sowohl für die bei Letzterem enthaltene Zweckbindung als auch für die Bezeichnung als „Pauschale“, die begrifflich allgemein gerade keine Abrechnungsverpflichtung impliziert. Auch der Hinweis des MWIDE, dass die Bescheide vorläufig seien, führt zu keiner anderen Einschätzung. Nach Auffassung des LRH bedarf es für eine rechtlich relevante Vorläufigkeit einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung im Bescheid. Hieran fehlt es aber.“(Seite 89)

  • „Der LRH kritisiert weiterhin, dass es das MWIDE versäumt hat, hinsichtlich des Rückmeldeverfahrens für klare und rechtlich eindeutige und verbindliche Regelungen zu sorgen.“(Seite 89)

  • „Die unter Ziffer 2 dargestellte Regelung der Richtlinie war zwar einschlägig, entfaltete indes als nur die Verwaltung bindende Verwaltungsvorschrift keine Bindungswirkung gegenüber den Empfängerinnen bzw. Empfängern der Soforthilfe. Für diese konnte sie aufgrund des Zeitablaufs nicht einmal mehr eine Informationswirkung entfalten.“ (Seite 40) (Anmerkung: Diese Richtlinie wurde erst am 31.05.2020 veröffentlicht, am letzten Tag des Antragszeitraums!)

  • „Der LRH hat sich in seiner Folgeentscheidung dahingehend geäußert, dass maßgebend für eine rechtliche Verpflichtung zur Rückmeldung und zu etwaigen darauf basierende Rückzahlungen zu Lasten der Betroffenen ist, dass diese rechtswirksam – z. B. durch eine Erklärung im Antrag oder einer Nebenbestimmung im Bescheid – begründet wurde.
    Eine solche eindeutige Verpflichtung ist für den LRH weder im Antrag noch im Bewilligungsbescheid ersichtlich. Auch der Hinweis des MWIDE, dass die Bescheide vorläufig seien, führt zu keiner anderen Einschätzung. Nach Auffassung des LRH bedarf es für eine rechtlich relevante Vorläufigkeit einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung im Bescheid. Hieran fehlt es aber. (Seite 40)

  • „Der Schlussbescheid sollte ausschließlich automatisch – ohne ergänzende Bearbeitungen oder Prüfungen – erstellt werden.“
    „Das MWIDE hat ausgeführt, dass bewusst eine volldigitale Lösung eingesetzt worden sei.“(Seite 45)

  • „Ein Schlussbescheid sollte ausschließlich auf den Angaben der Empfängerinnen bzw. Empfängern von Soforthilfe basierend automatisch erstellt werden. Ergänzende Bearbeitungen oder Prüfungen der Bewilligungsbehörde bezüglich der übermittelten Angaben waren grundsätzlich nicht vorgesehen.“ (Seite 102)

  • „Für den LRH haben die Ausführungen des MWIDE seine Feststellungen bestätigt, dass im Rückmeldeverfahren weder vorgesehen noch auf der Grundlage der erhobenen Daten möglich war, die Angaben zu überprüfen.“

  • „Demgegenüber schloss die Formulierung der Antragsvoraussetzungen in NRW eine Finanzierung von Lebenshaltungskosten nicht aus. Nach den Ausführungen des MWIDE war dieses zu Beginn des Verfahrens davon ausgegangen, dass eine Berücksichtigung von Lebenshaltungskosten nicht ausgeschlossen sei.“(Seite 91)

  • ….und so weiter und so fort.
    (Es gibt noch reichlich weitere, grundlegende Fehler, die der Landesrechnungshof dem MWIDE / den Bezirksregierung attestiert hat!)

Nicht nur die Verwaltungsgerichte und das Oberverwaltungsgericht haben bestätigt, dass das Land fast alles falsch / rechtswidrig gemacht hat, was man falsch / rechtswidrig machen konnte.
Auch der Landesrechnungshof hat dem Ministerium faktisch vollständiges Versagen attestiert.

Was sagt die reine „Zuwendungslehre“?

Ein Blick in die einschlägige Literatur zum Zuwendungsrecht hätte dem Wirtschaftsministerium geholfen, wenn man sich rechtmäßig hätte verhalten wollen.

Das OVG NRW und das VG Cottbus zitieren in älteren Entscheidungen (OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2001 – 4 A 325/00 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom15. Mai 2003 – 4 A 992/02 –, juris;VG Cottbus, Urteil vom 7. Juli 2009 – 7 K 681/08 –, juris) an einigen Stellen ein Standardwerk des Zuwendungsrechts in NRW, nämlich:

    Ubbenhorst, Zuwendungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1999

Insoweit kann ich aus sehr berufender Feder, eines nach der Lektüre des OVG-Urteils entsetzten Autors einfach mal zitieren, was mir auf der Basis der rechts- und verwaltungswissenschaftlichen Literatur Grundlegendes zur Einordnung geschrieben wurde:

  1. Das Subventionsrecht ist ein „bilaterales Geschäft“ zwischen den beiden am Verfahren beteiligten Parteien: dem Subventionsgeber (Bewilligungsbehörde) einerseits und dem Subventionsempfänger (Zuwendungsempfänger) andererseits. Diese Rechtsbeziehung, mit der Rechte und Pflichten der beiden Parteien festgelegt werden, wird gemeinhin als Zuwendungsrechtsverhältnis bezeichnet. In der Folge ist allgemein anerkannt, dass die Einhaltung zuwendungsrechtlicher Erfordernisse nicht über das hinausgehen kann, was die Bewilligungsbehörde zum Gegenstand des Bescheides gemacht hat. Das für die einzelne Zuwendung Entscheidende muss sich demnach unmittelbar aus dem Bescheid ergeben (s. hierzu auch Ubbenhorst, Zuwendungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1999, S. 79).

    Hinweise in der OVG-Entscheidung, wonach durch Förderrichtlinien des Landes, durch FAQ-Seiten von Bund und Land im Internet oder durch Rahmenregelung der EU sich eine Vorläufigkeit der Bescheiderteilung ableiten lasse, sind aus meiner Sicht deshalb nicht haltbar, weil sie nicht Gegenstand des Bewilligungsbescheides geworden sind. Insofern sehe ich in diesem Zusammenhang einen massiven Verstoß gegen § 37 VwVfG, wonach ein Verwaltungsakt (hier: der Subventionsbescheid) hinreichend bestimmt sein muss.

    Ein grundlegender Mangel der OVG-Entscheidung zeigt sich an dieser Stelle, weil in der gesamten Urteilsbegründung nicht mit einem Satz auf das verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmtheitsgebot eingegangen wird. Bei einem Verwaltungsstreitverfahren, bei dem es vor allem um Interpretationsmöglichkeiten geht, die die Bescheiderteilung zulässt, eine recht erstaunliche Feststellung.

  2. Das Land NRW rechtfertigt sein Vorgehen u.a. mit folgendem Hinweis: „Als im Wirtschaftsleben erfahrene oder jedenfalls mit diesem vertraute Personen sei es den Zuwendungsempfängern zuzumuten, sich über die Voraussetzungen und Umstände der Mittelgewährung und ebenso über eine etwaige Rückzahlungsverpflichtung näher zu informieren, insbesondere wenn Behördenangaben auslegungs- oder erklärungsbedürftig erschienen. Mit ökonomisch geprägten Begriffen wie etwa Finanzierungs- bzw. Liquiditätsengpass, laufenden Kosten, Mittelverwendung, Umsatz(-ausfall), Bewilligungszeitraum sowie Überkompensation wisse diese Empfängergruppe etwas anzufangen (vgl. S. 19 des OVG-Urteils vom 17. März 2023).“

    Dem ist m.M.n. heftig zu widersprechen, denn der Begriff „Bewilligungszeitraum“ ist kein ökonomisch geprägter Begriff, sondern ein spezifischer Begriff des Zuwendungsrechts, der wohl über viele Jahre hinweg Anwendungsprobleme bereitete. Erst eine Neudefinition, den der Bund-Länder Arbeitskreis „Haushaltsrecht und Haushaltssystematik“ vorgenommen hat, konnte hier für eine Klarstellung sorgen (vgl. hierzu auch Ubbenhorst, Zuwendungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1999, S. 85). Im Jahre 2004 schon hat das NRW-Finanzministerium im Rahmen einer Novellierung der haushaltsrechtlichen Verwaltungsvorschriften eine weitere Klarstellung vorgenommen. Seither müssen Bewilligungsbehörden zwei Zeitangaben im Bescheid machen:
  • einerseits die Angaben des Bewilligungszeitraums, der nach Nr. 4.2.5 VV zu § 44 LHO die Festlegung des Zeitraums ist, in dem die Zuwendung ausgezahlt werden kann und
  • anderseits die Angabe des Durchführungszeitraums (vgl. Anlage 3 zu Nr. 4.1 VVG zu § 44 LHO, Grundmuster 2 – Musterzuwendungsbescheid), also die Angabe des Zeitraums, in dem die Fördermaßnahme durchzuführen ist.

    Fazit: Die vermeintliche Klarheit, die bei den spezifischen subventionsrechtlichen Begriffen unterstellt wird, ist keinesfalls gegeben – nicht bei den Landesbewilligungsbehörden und ganz sicher nicht bei den in den Fällen der Corona-Soforthilfe in aller Regel völlig unerfahrenen Subventionsnehmern. Diese fachbegrifflichen Unsauberkeiten ziehen sich m.M.n. im Übrigen durch die gesamte OVG-Urteilsbegründung vom 17. März 2023 (u.a. Begriff „Zweckbindung“).

    Zum v.g. OVG-Urteil scheinen mir weitere vier Dinge besonders bemerkenswert:

    Erstens ist es die vom OVG vorgenommene Interpretation des Begriffs „Empfängerhorizont“.

    Das OVG geht davon aus, dass die Fördermittelempfänger sowohl in der Lage als auch verpflichtet waren, sich umfassend (u.a. auf Internetseiten der EU, des Bundes und des Landes) über alle juristischen „Konditionen“ der Corona-Soforthilfe zu informieren. Dieser hohe Anforderungsstandard scheint mir weltfremd angesichts der Tatsache, dass die NRW-Landesregierung mehrfach selbst darauf hingewiesen hat, dass das Soforthilfeprogramm das größte Förderprogramm in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen war und insgesamt rund 430.000 Anträge bewilligt und Finanzmittel im Umfang von insgesamt 4,5 Milliarden Euro an Unternehmen, Solo-Selbständige und Freiberufler ausgezahlt worden sind.

    Aus meiner Sicht wird genau andersherum ein Schuh daraus, denn es kann sicher davon ausgegangen werden, dass bei der riesigen Antragszahl viele, bzw. fast alle Fördermittelempfänger erstmalig Anträge gestellt haben und deshalb absolute „Bewilligungslaien“ waren. Und die werden in einer völligen Extremsituation der aufkommenden Pandemie im Frühjahr 2020 gewiss nicht auf den Internetseiten von EU, Bund und Land sich informiert haben, sondern eher den medial wirksamen Auftritten der politischen Prominenz vertraut haben.

    Zweitens war es für die anhängigen verwaltungsverfahrensrechtlichen Streitverfahren quasi entscheidend, dass das OVG anerkennt, dass es sich bei den Corona-Soforthilfebescheiden um vorläufige Verwaltungsakte handelte und die Bewilligungsbehörden deshalb berechtigt sind, Schlussbescheide zu erlassen. U.a. begründet das OVG diese rechtliche Bewertung mit dem Erfordernis der Abgabe eines Verwendungsnachweises, vgl. Tz. 155.

    Man mag mir bitte nachsehen, wenn ich das so drastisch sage, aber diese Aussage ist zuwendungsrechtlicher Dilettantismus pur. Der Verwendungsnachweis ist obligatorischer Bestandteil eines jeden Zuwendungsverfahrens und führt regelmäßig dazu, dass die Informationen der Nachweisführung der Bewilligungsbehörde das Recht geben, mit einem „Schlussbescheid“ die gewährte Zuwendung ganz oder in Teilen aufzuheben. Dieser Schlussbescheid basiert allerdings eben nicht darauf, dass ein vorläufiger Verwaltungsakt erlassen worden ist, denn der ist (auch nach Auffassung des für haushalts- und zuwendungsrechtliche Grundsatzfragen zuständigen Bund-Länder-Arbeitskreises „Haushaltsrecht und Haushaltssystematik“) kein zuwendungsrechtlicher Standard. Vielmehr werden hier die Aufhebungs-/Korrekturmöglichkeiten des VwVfG genutzt.

    Entweder über den Weg der Rücknahme gemäß § 48 VwVfG, soweit der erlassene Bewilligungsbescheid rechtswidrig war. Oder über den Weg des Widerrufs gemäß § 49 VwVfG, soweit der erlassene Förderbescheid rechtmäßig war. Ein dritter Weg ist möglich, wenn eine sog. (auflösende) Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) eingetreten ist. Diese drei Wege sind bei den in Rede stehenden Verwaltungsstreitverfahren jedoch nicht beschritten worden.

    Stattdessen stützt die Bewilligungsbehörde die Rückforderung auf §49a Abs. 1 Satz 2 VwVfG. Die Vorschrift des § 49a Abs. 1 Satz VwVfG verlangt wiederum, dass bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist.

    Vor diesem Hintergrund stellt die Sichtweise des OVG zur Frage des vorläufigen Verwaltungsaktes das bisherige Zuwendungsrecht förmlich auf den Kopf und negiert alle haushalts-/zuwendungsrechtlichen und verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben des Förderrechts. Vor allem weicht das OVG auch von der bisher ganz restriktiven Rechtsprechung ab, die u.a. auch das OVG Münster selbst bisher vertreten hat. Insgesamt äußerst verwunderlich warum?

    Meine drastische Meinung relativiere ich dann etwas (und das ist mittlerweile meine Hoffnung), wenn das OVG mit seiner kryptischen Urteilsbegründung deutlich machen will, dass die Bewilligungsbehörden die Rückforderungsbescheide auf §§ 48, 49 VwVfG stützen müssen.

    Drittens bin ich der Meinung, dass die Aussage des OVG Münster nicht zutrifft, wonach „ein ausschließlich zur Milderung finanzieller Notlagen gewährter Billigkeitszuschuss denknotwendig nur in dem Umfang zweckentsprechend verwendet werden, in dem sein Einsatz zu diesem Zweck auch benötigt werden würde. Wurde im Nachhinein nur eine geringere Summe im Rahmen der Zweckbindung benötigt, konnte die Fördersumme auch vom Wortsinn nur in dem benötigten Umfang als „Zuschuss“ zur Verwendung für den Zuwendungszweck verstanden werden“ (vgl. Tz. 164).

    Hier ist festzustellen, dass eine im nationalen Zuwendungsrecht obligatorisch vorgeschriebene „Notbremse“, wonach eine Bewilligungsbehörde einen Erstattungsanspruch insbesondere feststellen und geltend machen kann, wenn die Zuwendung nicht oder nicht mehr für den vorgesehenen Zweck verwendet wird (vgl. beispielsweise Nr. 8.2 i.V.m. Nr. 8.2.3 ANBest-P), in den Corona-Soforthilfebescheiden eben nicht enthalten ist. Das bedeutet letztlich, dass die gewährte Billigkeitsleistung selbst dann nicht zurückgefordert werden könnte, wenn die Höhe der gewährten Billigkeitsleistung über die vom Empfänger nachzuweisenden Ausgaben/Kosten hinausgehen würde. Dieser Aspekt könnte im weiteren Verfahrensverlauf möglicherweise noch interessant und bedeutsam werden.

    Viertens hat das OVG eindeutig festgestellt, dass die bisher praktizierten automatisierten Rückforderungsverfahren rechtswidrig sind (vgl. Tz 198ff.). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Bewilligungsbehörden bei zukünftigen Rückforderungen (und natürlich auch bei dem vom OVG entschiedenen Fall des Kosmetikstudios) Einzelfallentscheidungen zu treffen haben. Zukünftig wird man sich also im „normalen“ Verwaltungsverfahrensrecht bewegen, was auch bedeutet, dass die Bewilligungsbehörden auf dem Weg zur Rückforderung ein Anhörungsverfahren gemäß § 28 VwVfG durchzuführen haben. Im Anhörungsverfahren muss die Bewilligungsbehörde ihre Gründe konkret nennen, die aus ihrer Sicht eine Rückforderung dem Grunde und der Höhe nach rechtfertigen, weil letztlich die Rückforderungsentscheidung ermessensfehlerfrei und im Ergebnis ermessensgerecht sein muss, vgl. Nr. 8.2 VV zu § 44 LHO. Dabei hat die Bewilligungsbehörde bei der Ausübung ihres Ermessens die Besonderheiten des Einzelfalles, unter anderem auch Zeitdauer der zweckentsprechenden Verwendung, sowie die Interessen des Zuwendungsempfängers und die öffentlichen Interessen gleichermaßen zu berücksichtigen. Da wird also m.M.n. bei 110.000 fehlenden „Schlussbescheiden“ eine Menge Arbeit auf die Bewilligungsbehörden zukommen!

    Sollte die Bewilligungsbehörde auf das Anhörungsverfahren verzichten, oder den Soforthilfeempfänger in Teilen seiner Rechte beschneiden, wäre das ein neuer Grund für eine Klage, weil die getroffene Entscheidung im Zweifel als nicht ermessensgerecht anzusehen ist.

Diesem „vernichtenden Urteil“ eines sehr berufenen Fachmanns muss ich eigentlich nichts mehr hinzufügen.

Aktuelle Lehrwerke zum Zuwendungsrecht kommen zu keinen wesentlich anderen Erkenntnissen. Auch Gumpert, Zuwendungsrecht der Landes NRW, 2020 enthält insoweit kernige Aussagen, die das Land jedenfalls beim „Bescheiddesign“ scheinbar nicht interessierten:

  • Für das Vorliegen einer Zuwendung muss die Geldleistung dann abschließend noch für einen Zweck gewährt werden der hinreichend konkretisiert (also bestimmt) ist. Die Bestimmung eines Zwecks hat dabei bereits vor der Gewährung einer Zuwendung durch die verantwortliche Stelle zu erfolgen (Rn. 36).

  • Dabei ist der Zweck und das damit verfolgte Ziel so eindeutig und detailliert festzusetzen, dass sie auch als Grundlage für eine begleitende und abschließende Kontrolle des Erfolgs des Vorhabens oder des Förderprogramms dienen kann (Rn. 39).

  • Das Maß des Konkretisierungserfordernisses nimmt dann mit dem Fortgang des Verfahrens weiter zu. So müssen Förderrichtlinien und wie voran dargestellt erst recht der Zuwendungsbescheid sehr konkrete Beschreibungen des Zuwendungszwecks enthalten (Rn. 43).

  • Die Notwendigkeit der klaren und eindeutigen Formulierung der Ziele und des Zuwendungszweck ist also auch im Hinblick auf die vorgeschriebene Erfolgskontrolle notwendig. Nur mit einem konkreten Ziel bzw. anhand eines konkreten Zwecks als Referenzpunkt und klaren vorgegebenen Teilzielen, Kennziffern, Indikatoren u.ä. kann im Nachhinein auch geprüft werden, ob und in welchem Umfang das Ziel bzw. der Zweck erreicht worden ist (Rn. 43).

  • Billigkeitsleistungen des Landes sind finanzielle Leistungen, auf die kein Anspruch besteht, die aber aus Gründen der staatlichen Fürsorge zum Ausgleich oder der Milderung von Schäden und Nachteilen gewährt werden (Rn. 76).

  • Das Instrument der Billigkeitsleistungen hat vor allem auch im Rahmen der Bewältigung der Coronakrise Bedeutung erlangt. So wurden die gewährten Hilfen von Bund und des Landes durch Bezirksregierungen als Billigkeitsleistungen vergeben (Rn. 76).

  • Das Erfordernis der vorherigen Festlegung der Zwecke und Ziele ergibt sich aus dem Umstand, dass die Gewährung von Zuwendungen sonst im Charakter einer gesetzeswidrigen ziellosen Verteilung von Geldern ähneln würde.

  • Bestünde nämlich die Möglichkeit, die Ziel- bzw. Zweckbestimmung im Nachhinein vorzunehmen, würde dies die erhebliche Gefahr mit sich bringen, dass die Gewährung von Zuwendungen zu einer bloßen (und verbotenen) Verteilung als Geldgeschenke degradiert würde, bei der im Nachhinein erst überlegt werden könnte, welcher Zweck mit dem Geld überhaupt verfolgt werden soll (Rn. 98).

  • Auch der Zuwendungszweck ist im Bescheid anzugeben.
    Die Bezeichnung sollte durchaus genau erfolgen. Allgemeingehaltene Bezeichnungen wie zum Beispiel „Durchführung von Schulungsmaßnahmen“ oder „Förderung von Investitionen“ sind nicht zulässig. Die Bezeichnung des Zuwendungszwecks muss so eindeutig und detailliert festgelegt werden, dass sie auch als Grundlage für eine begleitende und abschließende Erfolgskontrolle des Vorhabens oder des Förderprogramms herangezogen werden kann. Der Verwendungszweck ist gegebenenfalls durch Erläuterungen zu präzisieren (Rn. 241).

  • Die Ziele müssen so formuliert sein, damit diese später als Referenzpunkt geeignet (also spezifiziert) sind. Denn nur konkret und klar festgelegte Ziele ermöglichen auch eine verlässliche Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß diese erreicht wurden (Rn. 393).

Das alles ist das „Trapez des (nordrhein-westfälischen) Zuwendungsrechts“ bei dem das Land offenbar bei der Corona-Soforthilfe vollständig abgestürzt ist.

Was sagen andere Gerichte?

Auch in anderen Bundesländern wurde das Verfahren bereits einer gerichtlichen Prüfung zugeführt. Wir „fahnden“ ständig nach neuen Urteilen!

Bemerkenswert ist insoweit das Urteil des VG Meiningen (Thüringen) zitiert nach BeckRS (VG Meiningen Urt. v. 13.12.2022 – 8 K 1325/21 Me, BeckRS 2022, 46332).
Quelle: https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/JURE230046079

Das Gericht hat einen Widerrufs- und Leistungsbescheid zur Corona Soforthilfe der Thüringer Aufbaubank aufgehoben. Zur Begründung führte das Gericht unter anderem aus:

  • „Eine zweckwidrige Verwendung der mit dem bestandskräftigen Bewilligungsbescheid gewährten einmaligen Geldleistung ist nicht festzustellen.
    Für die Beurteilung der Einhaltung der Zweckbestimmung bei der Verwendung von Fördermitteln ist der im Zuwendungsbescheid ausgewiesene Zuwendungszweck maßgebend.
    Auch wegen der besonderen Bedeutung des Zuwendungszwecks für den Widerrufstatbestand muss der Zweck im Bescheid selbst mit hinreichender Bestimmtheit zum Ausdruck kommen (OVG Bautzen, U. v. 25.6.2009 - 1 A 176/09 -, juris).
    Wie die Zweckbestimmung in dem Bescheid zu verstehen ist, beurteilt sich hierbei danach, wie der Adressat den Inhalt des Bescheides bei objektiver Würdigung verstehen musste. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung.
    Maßgeblicher Auslegungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes. Für dieses Verständnis sind auch das Antragsformular sowie in Bezug genommene Richtlinien, deren näherer Inhalt infolge ihrer Veröffentlichung ohne weiteres zugänglich ist, und sonstige Informationen unter Berücksichtigung aller für den Adressaten erkennbaren Umstände relevant (OVG Lüneburg, B. v. 16.10.2014 - 8 LA 52/14 -, OVG Bautzen, U. v. 25.6.2009 - 1 A 176/09 -; OVG Lüneburg, B. v. 23.7.2009 - 10 LA 278/07 -, alle zitiert nach juris).)“

  • „Die Thüringer Aufbaubank stellt im streitgegenständlichen Widerrufs- und Leistungsbescheid darauf ab, dass die Klägerin die bewilligte Corona-Soforthilfe nicht für den dafür vorgesehenen Zweck zur Überwindung einer existenzgefährdenden Wirtschaftslage verwendet habe, da eine Berechnung ergeben habe, dass bei ihr in den drei auf die Antragstellung folgenden Monaten kein Liquiditätsengpass vorgelegen hätte.
    Sie stellt damit auf ein Verständnis von einer finanziellen Notlage ab, welches sich nicht aus der für die Klägerin erkennbaren Verwaltungspraxis des Beklagten zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ergab.
    Weder aufgrund der Formulierung im Bewilligungsbescheid und der dort in Bezug genommenen Richtlinie vom 25.03.2020 noch unter Berücksichtigung der Angaben im Antragsformular konnte dies angenommen werden.“

  • „Durch die Formulierung im Bewilligungsbescheid, die von einem „nicht rückzahlbaren Zuschuss zur Bewältigung der Krisensituation“ spricht, den Hinweis auf die Richtlinie vom 25.03.2020, die keinerlei Definition einer finanziellen Notlage enthielt und den im Antragsformular gestellten Fragen nach dem Schaden und insbesondere dem Umsatz im Jahre 2019, stellte sich die bei objektiver Würdigung zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis für die Klägerin als Adressatin des Bewilligungsbescheides zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides so dar, so dass sie davon ausgehen durfte, dass ihr die Soforthilfe gewährt wurde, um einen pandemiebedingten Umsatzausfall zu bewältigen, der ihren Betrieb in eine finanzielle Notlage bringen konnte. Sie konnte daher annehmen, die Soforthilfe nur dann (teilweise) erstatten zu müssen, wenn sie feststellte, dass die Zuwendung höher war als der Umsatzausfall, wenn also eine Überkompensation in diesem Sinne vorlag. Da die Umsatzeinbußen der Klägerin aufgrund der Corona-Pandemie zum Zeitpunkt der Antragstellung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum unstreitig die Höhe der Soforthilfe von 20.000,00 Euro überstiegen, durfte sie annehmen, diese Mittel behalten zu dürfen.“

  • „Der vom Beklagten im Rückforderungsbescheid genannte Zweck, für den der Klägerin nach seiner Auffassung die Leistungen gewährt wurde, entspricht zwar der am 03.04.2020 in Kraft getretenen Richtlinie, die die Richtlinie vom 25.03.2020 ersetzen und für alle Anträge gelten sollte, die ab dem 02.04.2020 gestellt wurden (Ziffer 7). Dort wird als „Voraussetzungen“ (Ziffer 4 der Richtlinie) ausgeführt, dass „die Soforthilfe als Billigkeitsleistung zur Überwindung einer existenzgefährdenden Wirtschaftslage gewährt wird, die durch die Corona-Krise vom Frühjahr 2020 entstanden ist. Eine existenzgefährdende Wirtschaftslage werde angenommen, wenn die fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb des Antragstellers voraussichtlich nicht ausreichen, um die Verbindlichkeiten in den auf die Antragstellung folgenden drei Monaten aus dem erwerbsmäßigen Sach-, und Finanzaufwand (bspw. gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingaufwendungen) zu zahlen (Liquiditätsengpass).“

  • Erstmals in dieser wird präzise umschrieben, dass ein Liquiditätsengpass vorliegen muss und sich dieser aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlichen laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben (bspw. Gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingaufwendungen) ergibt.“

  • „Da aber nur die tatsächliche Förderpraxis während des Förderverfahrens entscheidend sein kann und damit auch für den Widerruf des Förderbescheides maßgebend ist, können nicht nachträgliche Änderungen der Verwaltungspraxis herangezogen werden, um einen solchen zu begründen.
    Eine rechtliche Neubewertung eines Fördervorgangs kann aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht Anknüpfungspunkt für eine Änderung des Zuwendungszwecks im Bewilligungsbescheid sein. Der Behörde soll nicht die Möglichkeit eröffnet werden, die rechtliche Bewertung abgeschlossener Sachverhalte offen zu lassen oder einer zukünftigen rechtlichen Bewertung vorzubehalten.
    Nach Erlass des Zuwendungsbescheides kann die Bewilligungsbehörde die darin verwandten Begrifflichkeiten nicht mehr frei bzw. einschränkend auslegen. Der Bescheid hat insoweit Fakten im Hinblick auf die darin zum Ausdruck kommende Verwaltungspraxis geschaffen. Der Zuwendungsempfänger muss sich auf die im Antragsverfahren gleichmäßig ausgeübte Verwaltungspraxis und den Inhalt des Bewilligungsbescheides einstellen können (OVG NRW, B. v. 08. 03. 2018 - 4 A 182/16 -; OVG NRW, B. v. 11.06. 2016 - 4 A 1983/13 -; VG Düsseldorf, U. v. 16.08.2022 – 20 K 393/22 -, alle zitiert nach juris).
    Eine Änderung bzw. Präzisierung der Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Zweckbestimmung kann insoweit nicht rückwirkend vorgenommen werden.“

Der Sachverhalt kommt einem irgendwie bekannt vor und die Entscheidung des VG Meiningen ist auch eher deutlich und bestimmt. Das VG Meiningen hat die Berufung nicht zugelassen, sodass das Land Thüringen jetzt natürlich beim dem OVG die Zulassung der Berufung beantragt hat. Wir halten das im Auge.

Dies alles vorangeschickt nun noch mal zum Urteil des OVG NRW (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.März 2023 – 4 A 1986/22 –, juris).
Quelle: https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2023/4_A_1986_22_Urteil_20230317.html

Was sagt das Urteil des OVG Münster wirklich?

  • Die Schlussbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.
  • Ein „Rückmeldeverfahren“ findet im Bewilligungsbescheid keine Grundlage.
  • Das Land hat bei Erlass der Schlussbescheide die für die endgültige Festsetzung maßgeblich bindenden Vorgaben des Bewilligungsbescheides nicht beachtet.
  • Die Schlussbescheide waren schon deshalb rechtswidrig, weil sie ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden sind.

Das sind die wesentlichen Kernaussagen.

Des Weiteren hat das Gericht noch ein paar weitere Feststellungen getroffen:

  • Die Bewilligung des Billigkeitszuschusses erfolgte zu dem ausschließlichen Zweck der Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des selbstständigen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie, insbesondere zur Überbrückung von entstandenen Liquiditätsengpässen.
  • Es besteht eine Verpflichtung zur Rückzahlung bei einer Überkompensation (Nummer II.3 des Bewilligungsbescheides).
  • Es besteht ein Erfordernis der Abgabe eines Verwendungsnachweises (Nummer II.8 des Bewilligungsbescheides)
  • Die Soforthilfe darf ausschließlich und vollumfänglich nur zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden.
  • Eine entsprechende Mittelverwendung ist nachzuweisen und bei Einzelfallprüfungen zu belegen.
  • Die in dem gesamten Bewilligungszeitraum von drei Monaten nicht zweckentsprechend benötigten Mittel sind anschließend zu ermitteln und zurückzuzahlen.

Das ist nicht weiter verblüffend, sondern war eigentlich von Anfang an grundsätzlich klar.

Problem ist und bleibt aber auch nach der ausführlichen Begründung des OVG, wie die einzelnen Voraussetzungen und Mitwirkungspflichten konkret zu definieren sind. Dazu schweigen sich nämlich die FAQ, Antragsformulare und Bewilligungsbescheide aus.
Die notwendigen Definitionen („Referenzpunkte“) hätten aber in den FAQ, Antragsformularen bzw. im Bewilligungsbescheid genau, transparent, für jeden nachvollziehbar und eindeutig erfolgen müssen. Das OVG hat diese Versäumnisse des Landes in seinem Urteil nicht nachgeholt, sondern bestenfalls grobe Anhaltspunkte gegeben.

Das Gericht hat auch nicht wirklich ausdrücklich gesagt, dass die Bewilligungsbescheide grundsätzlich und im engeren, juristischen Wortsinne „vorläufig“ waren und daher ohne Weiteres gemäß § 49a VwVfG geändert werden konnten, wie das Land es behauptet hat.

Das Gericht hat nur gesagt, dass sich der Bescheid hinsichtlich der o.g. Punkte für den objektiven Empfänger als „vorläufiger Bescheid“ darstellt. Aber nicht, dass er als solcher auch erlassen wurde.

Auch das ist aber keine besondere Erkenntnis. Ich denke, dass sich jeder von uns bewusst war, dass er die Soforthilfe wieder zurückzuzahlen hat, wenn er die eindeutig kommunizierten Voraussetzungen nicht erfüllt (z.B. falsche Antragstellung, Finanzielle Schwierigkeiten bereits vor der Pandemie, Überkompensation, Verweigerung des Verwendungsnachweises, Verweigerung von Nachweisen und Belegen bei Einzelfallprüfungen).

Das Gericht nennt das ausdrücklich eine „so verstandene Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheids“ und meint damit wohl eine „irgendwie noch vorliegende Vorläufigkeit im nicht juristischen, engen sondern einem weiteren Sinne“.
Alles andere würde auch stark verwundern, weil das OVG dann seine eigene Rechtsprechung aufgegeben und die Rechtsprechung anderer OVGs und des Bundesverwaltungsgerichts unbeachtet gelassen hätte. Es wäre üblich, darauf dann gesondert hinzuweisen und auch die Revision zuzulassen.

Das OVG hat, darauf muss jetzt aber noch nicht umfangreich eingegangen werden, auch noch ein paar andere Unklarheiten hinterlassen.

Nur ein Beispiel:
In Rn. 151 der Begründung stellt das Gericht für den „objektiven Empfängerhorizont“ und den ausschließlichen Zweck der Soforthilfe u.a. darauf ab, dass im Bescheid die „Klarstellung, dass es sich um eine Förderung nach der „Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“ handele“ erfolgt sei.
Was das klarstellen soll, ist nicht erkennbar. Wer den Text der im Bundesanzeiger erst am 31.03.2020 überhaupt veröffentlichten „Bekanntmachung der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“) vom 26. März 2020“ liest, findet in § 1 Grenzen für Gesamtsummen von Beihilfen, in deren Nähe die Soforthilfe auch nicht annähernd kommen konnte. Dort findet sich zur Zweckbestimmung der NRW-Soforthilfe 2020 rein gar nichts.
Quelle: https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/wy3LqyCZWwkr4rTXAkp?4

Ein übertrainierter Zweifler konnte dann noch in der Präambel der Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020 einen Hinweis auf die zugrundeliegende Norm des EU-Rechts, nämlich Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe b AEUV, finden. Auch dort steht aber zur Zweckbestimmung der NRW-Soforthilfe 2020 rein gar nichts.
Der Norm zu entnehmen ist bestenfalls, dass die Hilfe „zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ erfolgen muss.

Wer sich die Norm auf der offiziellen Seite der Europäischen Kommission (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A12016E%2FTXT&qid=1684069258456) in deutscher Sprache erschließen wollte und eine andere EU-Sprache sicher beherrscht, wäre zudem über die Qualität der Übersetzung verblüfft.

Beispiel Artikel 107 Absatz 3 Buchstaben a) und b) AEUV:

„(3) Als mit dem Binnenmarkt vereinbar können angesehen werden:

  1. Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, sowie der in Artikel 349 genannten Gebiete unter Berücksichtigung ihrer strukturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lage;
  2. Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats;..."

Dieser Sprachgau (unterstrichen) ist die offizielle deutsche Übersetzung der EU-Kommission!
Jetzt auf Englisch:

"(3) The following may be considered to be compatible with the internal market:

  1. aid to promote the economic development of areas where the standard of living is abnormally low or where there is serious underemployment, and of the regions referred to in Article 349, in view of their structural, economic and social situation;..."

Es hätte also bei der deutschen Übersetzung richtig heißen müssen: „in denen der Lebensstandard außergewöhnlich niedrig ist“.

Echter Erkenntnisgewinn ist für Subventionsempfangende auf einer solch fragwürdigen Basis unmöglich.

Bei der NRW-Soforthilfe 2020 wurden auch gerne einmal Begriffe undefiniert verwendet: Finanzierungsengpass / Liquiditätsengpass / wirtschaftliche Schwierigkeiten / wirtschaftliche Existenz etc.

Wie sich dem Soforthilfeempfangenden im Rahmen eines „objektiven Empfängerhorizontes“ bei diesem Sprach- und Normchaos eine einzig wahre Erkenntnis für die Regeln der ihm gewährten Billigkeitsleistung erschließen bzw. gar aufdrängen soll, erschließt sich mir leider nicht.

Auch die Lektüre der Eckpunkte half nicht weiter, denn dort ist als Ziel des Bundesprogramms angegeben:

„Ziel: Zuschuss zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Antragsteller und zur Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen, u.a. durch laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten u.ä (auch komplementär zu den Länderprogrammen)“

Offenbar ist die „Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen“ nur EIN Ziel.
Ein anderes Ziel ist aber auch die „Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Antragsteller“.
Warum dabei dann ein teilweiser, pauschalierter Ersatz des Schadens / Umsatzausfalls offenbar nicht gemeint sein soll, ist nicht erkennbar.
Die Kurzfakten des Bundes sagen im Übrigen nichts anderes / oder konkreteres aus.

Selbst wenn die Leistungsempfangenden sich wirklich damit hätten auseinandersetzen müssen, hätten sie keinen großen Erkenntnisgewinn haben können und auch keinesfalls eine Divergenz zwischen diesen eher unspezifischen Regelungen und den FAQ, den Antragsunterlagen und dem Bescheid feststellen können.

So einfach, wie es sich auch das OVG im ersten Anlauf scheinbar gemacht hat, ist es dann doch wohl nicht!

Und Jetzt?

Das Wirtschaftsministerium wird sich etwas überlegen müssen.

Erstmal müssen die offenen Fragen wohl irgendwie beantwortet / definiert werden, insbesondere die Definition für eine Beurteilung einer „Milderung einer finanziellen Notlage“ im Sinne des Bescheides, der rechtmäßigen Mittelverwendung, der Inhalte für einen Verwendungsnachweis sowie Anforderungen für Nachweise / Belege und Einzelfallprüfungen geklärt werden. Und zwar rechtmäßig und auf der Basis der FAQ, Antragsformulare und Bewilligungsbescheide.

Dann muss ein Vordruck für einen Verwendungsnachweis entwickelt werden, der den Vorgaben der FAQ, Antragsformulare und Bewilligungsbescheide gerecht wird und anschließend eine Aufforderung an alle Soforthilfeempfangenden erfolgen, diesen auszufüllen. Selbstverständlich mit einer angemessenen Frist.

Das Land wird zudem ein Verfahren für Einzelfallprüfungen zu etablieren haben.

Zukünftige (berechtigte) Rückforderungen erfordern dann ein vorheriges Anhörungsverfahren sowie eine manuelle Bearbeitung (kein vollständig automatisiertes Verfahren).

Das Wirtschaftsministerium / die Bezirksregierungen sollten die beklagten Schlussbescheide dringend zurücknehmen, damit sich die Verfahren so kostengünstig für den Steuerzahler „erledigen“ und die Klagenden kurzfristig ihre Gerichtskostenvorschüsse zurückerhalten.

Das Wirtschaftsministerium / die Bezirksregierungen sollten ebenfalls die nicht beklagten Schlussbescheide zurücknehmen, um eine weitere Antrags- und Klagewelle zu vermeiden und so auch selbständig materielle Gerechtigkeit herzustellen.
Unter der Prämisse, dass noch rund 60.000 Soforthilfeempfangenden überhaupt keine Rückmeldung abgegeben haben und rund 50.000 zwar eine Rückmeldung abgegeben aber keinen Schlussbescheid erhalten haben (insgesamt also 110.000! Das sind rund ein Viertel aller Betroffenen!), wäre das die einzige Möglichkeit doch noch Gerechtigkeit und Gleichbehandlung zu gewährleisten.

Unklar ist weiterhin, wie NRW mit den übrigen rund 320.000 rechtswidrigen Schlussbescheiden umgehen wird, die inzwischen trotz festgestellter Rechtswidrigkeit trotzdem bestandskräftig sind. NRW beabsichtigt zumindest bisher, diesen unhaltbaren Zustand der Ungleichbehandlung aufrecht zu erhalten (siehe Pressmitteilung MWIKE vom 14.03.2023 sowie FAQ der Soforthilfe). So wurden zuletzt sämtliche „Anträge auf Wiederaufgreifen des Verfahrens“ ohne nähere Prüfung mit Serienbrief-Bescheiden vollautomatisiert abgelehnt.
Ein Verhalten, das nicht zu Frau Mona Neubaurs Aussage vom 07.10.2022 passt, man möchte eine „mögliche Ungleichbehandlung vermeiden“ (siehe Pressemitteilung MWIKE vom 07.10.2022). Zurzeit wird diese eher vergrößert.

Kommentar und Zusammenfassung von Reiner Hermann, IG NRW-Soforthilfe
(Stand: 25.05.2023)

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